Ein Antimärchen namens „die Verwandlung“

Im Unterricht haben wir „Die Verwandlung“ mit berühmten Volksmärchen verglichen und das Buch dabei als Antimärchen entlarvt. Mir reichte dieses Thema so kurz angeschnitten jedoch nicht, weshalb ich mich nochmals auf die Suche machte.

Typische Elemente eines Märchens sind unter anderem, dass das Übernatürliche als selbstverständlich vorausgesetzt wird, dass die Menschen im Mittelpunkt stehen und typisiert (in gut-böse etc. eingeteilt werden können), wandlungs- und entwicklungsfähig sind und dass eine Lehre weitergegeben wird. Hauptfigur ist oft ein Held, der sich ihm stellende Probleme lösen muss und dabei Mut, Tapferkeit, Selbstlosigkeit oder andere Tugenden beweist. Eine weitere Hauptfigur ist dann der Verursacher der Probleme, oft eine Hexe, eine böse Stiefmutter oder ein böser Zwerg. Die Guten werden zum Schluss belohnt, die Bösen bestraft.

Wenn man nun die Verwandlung damit vergleicht stimmt einiges zwar überein, vieles ist jedoch genau gegenteilig. Das Wunder der Verwandlung wird bei Kafka auch ohne zu Fragen hingenommen und die Personen (auch in Tiere verwandelte Menschen) stehen im Zentrum. Die Einteilung in gut und böse ist nicht so eindeutig, wie in einem Märchen. Würde man jedoch „die Verwandlung“ mit „die Schöne und das Biest“ vergleichen, würde man in Gregor eher die Rolle des Biestes erkennen. Er hat einen weichen Kern, wird jedoch seiner Äusserlichkeit wegen gemieden. Die Familie von Gregor wäre dann mit dem Volk vergleichbar, das sich dem Biest nicht nähern will und kaum Verständnis zeigt. Einen Urheber, im Märchen die böse Hexe, wird in Gregors Fall weder genannt, noch fragt jemand danach. Gregor wäre in diesem Vergleich der nach Erlösung Strebende. Doch genau hier hakt es bei Kafka. Während in einem Märchen nun ein Held, ein Erlöser (die Schöne) käme, fällt dieser bei Gregor weg. Dadurch bleibt dann auch die gerechte Belohnung der Guten (die Erlösung von Gregor) aus. Stattdessen stirbt Kafkas Hauptfigur einen qualvollen Tod und seine Familie führt ihr Leben einfach ohne ihn weiter. Dabei fällt einem einer der wichtigsten Unterschiede auf: In Kafkas „die Verwandlung“ wird keine Moral weitergegeben, sondern nur das triste Schicksal des Käfers und dessen Ausweglosigkeit beschrieben.

Aus diesen zahlreichen Differenzen, die gut auch anhand eines Volksmärchens herauskristallisiert werden können, kann man nun schliessen, dass bei „die Verwandlung“ von einem Antimärchen gesprochen werden kann.

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